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Grundhaltung der Prozessarbeit im Shiatsu

„Hier im Shiatsu komme ich am leichtesten und am tiefsten in Kontakt mit meinen Gefühlen, das ist extrem befreiend“, sagt letzthin eine Klientin.

Sie ist selber Psychotherapeutin und hat einen guten Bezug zu ihrem Körper, zu ihrer Gefühlswelt. Sie meditiert, tanzt und malt zuhause.

Ich war berührt von ihrer Aussage und habe gemerkt, dass sie auf den Punkt bringt, was auch mit vielen andern KlientInnen immer wieder geschieht.

Was macht es aus, dass sich gerade im Shiatsu die tieferen Gefühle hervorwagen? 

Diese Frage beschäftigt mich seit 25 Jahren. Ein Beispiel kann das vielleicht aufzeigen:

Als ich in 2003 in Kanada einen Kurs gab über „Gefühle und Emotionen im Shiatsu“ sassen mir vor allem junge Männer gegenüber und ich zweifelte, ob ich mit meinem Thema überhaupt durchkommen würde...

So bat ich jemanden aus der Gruppe sich hinzulegen und ich fing an, die Person zu behandeln. Ich behandelte einfach da, wo sich die tiefste Ebene im Ungleichgewicht zeigte - und fühlte mit. 

Innert kürzester Zeit brach der Behandelte in Tränen aus und ich begleitete ihn durch den Prozess des Zulassens der angestauten, nach hinten verdrängten Trauer. Das fühlte sich sehr heilsam an. Und nicht nur er, sondern die ganze Gruppe entspannte sich. Das Eis war gebrochen und wir konnten miteinander arbeiten!

Hinein lauschen

Bei der zuerst genannten Klientin ist Raum geben eigentlich das Wichtigste. Sie braucht ihn, um sich zu öffnen.

Aber wie mache ich das?

Es fühlt sich an wie ein hinein lauschen ins Energiefeld; ins individuelle und ins gemeinsame. 

Das gibt die Wahrnehmung von Weite, von Stille, von Raum. Es entsteht die Haltung, ALLEM erlauben, da zu sein. 

Das ist nicht immer einfach, weil uns die Klienten oft beauftragen, ihnen zu helfen, Unangenehmes loszuwerden.

Es hat jedoch alles seine Berechtigung, alles hat seinen Platz und nichts muss entfernt werden. 

Das ist das Zentrale. 

Beziehung

Ich bemerke auch meine vorgefassten Meinungen und schon bereiten Lösungsvorschläge oder Erklärungsversuche und nehme mich damit zutiefst an und kann sie einfach stehen lassen.

Wichtig ist die Beziehungsebene – sie braucht keine Erklärungen. Die Beziehung ist das, was ganz natürlich entsteht, wenn wir uns öffnen für das gemeinsame Feld. Diese Einfachheit, das absolute Dasein mit der Klientin öffnet alle Türen. Thomas Weil sagt: „Alle Verletzungen sind in der Beziehung  entstanden und können nur in der Beziehung geheilt werden.“ 

Die wertschätzende, volle Präsenz der Therapeutin bietet eine heilende Beziehung an. Die Klientin ist aufgehoben und angenommen.

Körper und Meridiane

Unsere Hara - Diagnose ist kein „tun“ mehr, sondern ein mitschwingen, mitfühlen. 

Wir brauchen sie nicht, um etwas über unser Klientin zu wissen, sondern um die tiefste Meridianebene genau dort unterstützen zu können, wo sie am „rotieren“ ist und Hilfe braucht. Die Unterstützung ist ein aufmerksames eintauchen, wieder Raum geben und geschehen lassen. Sie ist sozusagen absichtslos. 

Im Idealfall!...denn im Anwenden unserer wunderbaren Shiatsu Technik ertappe ich mich immer wieder , dass ich am „tun“ bin, am arbeiten, um ein Ziel zu erreichen. Zum Glück merke ich es auch immer wieder und kann zurückkommen in die Beziehung, ins Sein. Dann fliesst mein Atem tief und mühelos, meine Haltung entspannt sich. Ich bin offen und verbunden mit der allumfassenden Kraft. 

Während der Behandlung rede ich manchmal für die Klientin hörbar mit einem ihrer verspannten Muskeln. Ich bedanke mich bei ihm, dass er so viel Spannung übernommen und ausgehalten hat. Ich ermuntere ihn, sich zu entspannen, weich zu werden und mal auszuruhen. Ich erkläre ihm, dass er gut geholfen hat, Stress wegzustecken, nun jedoch der Raum da ist, dass sich der Stress auflösen kann.

Wieder fühlen

Das Gewebe, unsere körperliche Energie hört sehr genau zu, was wir sagen und denken. Wenn es sich entspannt, können sich die gespeicherten Emotionen und Gefühle zeigen. Am Anfang fühlt sich das oft total unangenehm oder sogar unaushaltbar an. Wenn wir das frei werdende Gefühl wahrnehmen und ihm absolut Raum geben, hat es seine Seins-Berechtigung und transformiert sich innerhalb von wenigen Minuten. Die erste Empfindung ist oft das wahrnehmen des „Nichtfühlens“. Akinobu Kishi sagt, dass die meisten Menschen „anästhesiert“ durchs Leben gehen. Wenn diese Wahrnehmung sein darf, zeigen sich die darunterliegenden Gefühlsschichten – am Anfang ist das oft Trauer. Auch da stellt sich ein blitzschneller, eingeübter Reflex ein, sie sofort wieder wegzustecken. Die Idee, dass wenn ich Trauer zulasse, ich in ein endloses, schwarzes Loch falle, ist weit verbreitet und liegt diesem selbstschützenden Reflex meist zu Grunde. Trauer ist jedoch eine wunderbare herzöffnende, warme und verbindende Energie. Sie wartet nur auf die Erlaubnis, fliessen zu dürfen. 

Auch für mich als Therapeutin sind die „schwierigen Emotionen“ oft fast nicht auszuhalten; ich fühle direkt mit. Wenn ich mich dann aus Hilflosigkeit auf die Erklärung der Geschichte meiner Klientin stürze, stoppe ich den Prozess.

Das Geheimnis...

..ist, wirklich wertfrei auszuhalten und in Beziehung bleiben, auch wenn noch so unangenehme Emotionen und Empfindungen aufkommen wie Scham, Ekel, Hilflosigkeit um nur einige zu nennen.  Damit das möglich ist, stellen wir meistens Verbindung mit einer Ressource her. Oft ist es eine Qualität der Klientin, zum Beispiel ihre sprudelnde Lebendigkeit beim tanzen. Das macht bewusst, dass sie selber nicht die Emotion ist, sondern dass die Emotion nur eine Energie, eine freie Schwingung ist. So kann sie heilsam und tief entspannen und ist verbunden mit dem was sie wirklich ist: 

Frei fliessende Liebe, Licht und Kraft. 

Mich gemeinsam mit meinen Klienten an diese Essenz zu erinnern, ist für mich das Beglückendste in meinem Beruf.